Polyamor Leben ist keine Mode
Der vollständigkeitshalber und weil ich auch immer wieder gefragt werde, möchte ich hier nochmal einen Kurzabriss zum Thema polyamor leben geben:
Fakt ist, niemand ist von heute auf morgen polyamor. Allerdings wird es oft erst spät erkannt, weil die Konfrontation mit der Polyamorie zuvor nicht stattfand. Was auch daran liegen mag, dass es diesen Begriff selbst noch gar nicht solange gibt. Doch das Beziehungsmodel gibt es schon ewig und lässt sich auch in zahlreichen älteren Schriften und Biografien nachweisen. Erstmals 2006 wurde der Begriff (ins Oxfort English Dictionary) Polyamorie ins Wörterbuch mit aufgenommen.
Das Wort selbst setzt sich aus dem griechischen Wort „poly“ (Viele) und dem lateinischen Wort „amor“ Liebe zusammen. Die Zusammensetzung beider Begriffe beschreibt das Konzept sehr gut: Heißt, es werden „viele“ Menschen geliebt!
Hier geht es nicht um die verpöhnte Vielehe (Polygamie) oder um das offene Konzept, welches sich hauptsächlich auf Sex bezieht – heißt die freie Liebe, welche ab den 60er Jahren an Bedeutung gewann. Polyamore Beziehungen basieren rein auf dem Gedanken der Liebe. Nicht jeder hat dabei Sex.
Es handelt sich sozusagen um ein Beziehungskonzept mit mindestens 3 Personen, dessen Motivator die Liebe ist.
„Oh es ist jetzt das neue Lebenskonzept, vielleicht…“ , so denken viele, „um sich nicht mehr entscheiden, nicht mehr binden, nicht trennen zu müssen.“ [1]
Entweder bist du ein Mensch, der viele weitere lieben kann, oder du bist es nicht.
Oft wird es schon in jungen Jahren gemerkt: Kleine Anzeichen können darauf hinweisen: Zb. in dem das Herz schnell von einer zur nächsten Person springt, ohne aber wirklich loszulassen. Nur wird in dieser Zeit eher daran gedacht, das die Hormone einfach verrückt spielen.
Später hat ein polyamor – veranlagter Mensch vielleicht Probleme, eine langjährige monogame Beziehung zu halten, weil das Herz nun mal das Herz ist und Dinge macht, die nicht planbar sind.
So entstehen Zweifel: Zweifel am Beziehungskonzept an und für sich, Zweifel an sich selbst. Warum ist man nicht so wie die anderen? Oder: wie machen das die anderen?
Polyamor leben ist nicht einfacher
„Ihr macht es euch ja sehr einfach… „ Ein häufiger Satz.
Nein, im Gegenteil. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es schwerer ist, in einem polyamoren Gefüge zu leben.
Tatsächlich gibt es auch Menschen, die sich nie in einem Polykül gesehen haben. Die zuvor niemals davon hörten, klassisch monogam ausgerichtet waren und nun doch polyamor leben. Oft liegt es daran, weil diese sich einst in einen polyamoren Menschen verliebten. Mit einem Mal stehen sie vor einer ganz anderen Art von Beziehung und dabei tauchen auch ganz andere Probleme auf.
Eine Herausforderung für die Gefühle
Ja, das Thema Eifersucht gibt es auch in der monogamen Beziehung. Hier wird es zumeist mit dem Wort Vertrauen gleichgestellt, während in Polykonzepten die Definition voneinander getrennt ist.
Doch das Thema ist, wie auch der Aspekt der Verlustangst, natürlich hin und wieder präsent. Der Umgang damit wird manchmal leichter. Vielleicht geht es irgendwann weg, manchmal kommt es unerwartet. Doch die Reflexion findet immer wieder statt. Beziehungen werden so immer wieder auf die Probe gestellt. Es werden Trigger aneinander entdeckt, welche zuvor nie eine Rolle spielten.
Mit der Reflexion gibt es viele Gespräche, eben genau über diese Dinge. Wie wird die Beziehung gestaltet. Welche Regeln stellt man sich auf, um einer Verletzung vorzubeugen?
Die ersten offensichtlichen Probleme sind die organisatorischen.
Ohne einen Kalender ist die polyamore Lebensführung eine Kunst. Der Kosten/Zeit /Energieaufwand erscheint erheblich höher. Wie bekommt man die Arbeit, mehr als einen Partner, Familie und sein Hobbieleben so noch in Einklang? Es scheint für viele sehr unrealistisch. Mit einem entsprechenden Organisationsaufwand kann es funktionieren. Aber leicht ist das nicht.
Eine weitere Schwierigkeit ist der Umgang mit der Öffentlichkeit.
Es gibt harte Stimmen gegen das polyamore Konzept. Zudem fällt es sehr vielen Polymenschen schwer, darüber offen in der Familie oder mit dem Arbeitgeber zu kommunizieren. Tatsächlich kann letzteres aber von Nöten sein, vor allem, wenn Kinder involviert sind[2]. Denn, auch wenn es ein Teil der Öffentlichkeit nicht gerne sehen möchte, in polyamoren Beziehungen haben Kinder oftmals mehrere Elternteile, natürlich mit unterschiedlichen Rechten. Das zu klären, kann schwierig sein.
Polyamor Lieben heißt mehr Beziehungsarbeit?
Oft wird davon gesprochen, dass bei polyamoren Beziehungen sehr viel mehr „Beziehungsarbeit“ geleistet werden muss. Dem würde die polyamore Gemeinschaft wahrscheinlich einheitlich zustimmen.
Doch ich bin der Meinung, soll eine Beziehung, egal nach welchen Konzept, langjährig fruchtbar bleiben, muss sie über kurz oder lang den gleichen Aufwand betreiben. Doch machen es die wenigsten Menschen so. Und das ist leider Tatsache.
Fakt ist, in einer polyamoren Beziehung werden solche Defizite schneller sichtbar. Wird gewollt, dass dieses Konzept funktioniert, bedarf es einer sofortigen Lösung. Eifersucht, Vertrauensverlust, Unsicherheiten und einen gemeinsamen Consent zu finden, dies sind Themen, die vielseitig besprochen und geklärt sein müssen, sonst hat das Gefüge kein Bestand.
Und hier kommen wir zu einem weiteren wichtigen Thema:
Polyamorie ist kein Heilmittel
Leider gibt es zahlreiche Paare, die aufgrund von Defiziten in der Beziehung ihr monogames Konzept öffnen. Dabei wird geglaubt, der Mangel an Lust, sowie die Langeweile in einer Beziehung können durch neue Einflüsse von außen, geklärt werden. Wenn dies funktioniert, dann nur kurzweilig. Dabei wundern sie sich, wenn nach ein paar Monaten dann doch die Trennung folgt. Zumeist liegt es schlussendlich daran, dass nun auffällt, was gefehlt hat. Und das Fehlende nun in einer anderen Person gefunden wird. Der alte Partner wird ersetzt, mit dem neuen gelebt wie zuvor.
Polyamorie ist nicht dafür da, um Probleme zu überwinden oder sie zu kompensieren. Polyamorie ist keine Weiterentwicklung einer monogamen Beziehung.
Exklusivität und Gleichberechtigung
In polyamoren Beziehungen geht es auch um den zwischenmenschlichen Umgang allgemein. Kein Mensch hat einen Besitzanspruch auf den anderen. Der Partner* kann zwar liebevoll mit „Meins..“ betitelt werden. Doch sind dies unterschiedliche Kategorien. Der Besitz eines Partners*, den gibt es so nicht. Das heißt, jeder Mensch hat in der Beziehung die gleichen Rechte.
Wird Person A von mehreren Personen geliebt, hat keiner dieser Personen ein persönliches Anrecht auf Person A. Nur diese selbst kann entscheiden, was gewollt wird. Der allgemeine Anspruch auf Jemanden „wird aufgehoben“. Das heißt, auch die Exklusivität nur für die eine Person da zu sein, das-ein-und-alles für sie* zu sein, gibt es so nicht mehr.
Polyamorie wird unterschiedlich gelebt
Auch in dem polyamoren Lebenskonzept gibt es unterschiedliche Lebensweisen.
- Gibt es die Hierarchische Polyamorie – hier hat das Hauptpaar immer Vorrang vor den Nebenpartnern. Dies tritt oft bei Paaren ein, die schon lange (ggf. monogam) zusammen leben. Oft trifft dies auch auf Familien zu. Paare mit Kindern sind oft das Hauptpaar, vor den Nebenbeziehungen.
- Die egalitäre Polyamorie – beschreibt im Prinzip die absolute Gleichberechtigung aller Partner.
- Die Solo Polyamorie – betrifft vor allem Einzelpersonen, welche mehrere Menschen lieben, aber selten mit ihnen zusammen wohnen (wollen). Hier wird die Autonomie angestrebt.
Fazit
Polyamor zu l(i)eben ist eine Entscheidung, die nur du wählen kannst. Niemand hat dabei das Recht in deine Bedürfnisse / deine Vorlieben einzugreifen. Und niemand hat ein Recht darüber zu urteilen, wie du als polyamorer oder monogamer Mensch entschieden hast zu leben. Ob mit oder ohne Beziehung, mit oder ohne Familie, ob monogam oder polyamor (wider deiner Natur), das allein ist deine Entscheidung.
Brauchst du Hilfe, dich zu offenbaren, oder bist du unsicher, ob du für das polyamore Konzept geschaffen bist, gerne helfe ich dir / euch dabei. Eifersucht, Verlustangst, Organisation und der Umgang mit der Öffentlichkeit, dies sind akute Themen, bei denen ich euch helfen kann.
Meldet euch einfach bei mir, schreibt oder bucht direkt einen Termin. Gern helfe ich euch weiter.
[1] Wobei letzteres doch eigentlich ein schöner Gedanke ist.
[2] Kinder haben übrigens wider Erwarten mit allem die wenigsten Probleme. Und ja das merkt man mit der Zeit. Für sie ist es ähnlich wie bei Scheidungskindern mit neuen Eltern. Sie haben vll. 2 Mütter, 2 Väter. Für Kinder kann es sogar eine Bereicherung sein, viele Menschen mit verschiedenen Erfahrungen im Leben um sicher herum zu haben.
Unter der Seite Begriffe kläre ich alle zum Thema gehörenden Beziehungsstile und Fachwörter nochmal zusammengefasst. Schau mal hier vorbei.
Literaturempfehlung
Freie Liebe, offene Ehe und Polyamory. Eine Diplomarbeit aus dem Jahre 2005 von Christian Rüther.
Polyamorie. Lieben ohne Grenzen von Manuela Aberger. 2017
Sexpositiv. Intimität und Beziehung neu verhandelt. Dein Körper, deine Regeln: Mit Sexpositivität zu mehr Selbstliebe und Zufriedenheit. Partnerschaft von Beatrix Roidinger, Barbara Zuschnig.